Gastbeitrag von TV- und Medienprofi Reinhard Jesionek

Kaum eine Woche vergeht ohne der Präsentation von innovativen Ideen und Aktivitäten aus der Welt der digitalen Revolution: Eine „Digital Hub“ Eröffnung hier, ein Start-up-Event da. Das große Problem: Hier wird primär von digitalen Denkern für digitale Denker kreiert. Die prädigitale Generation wird weitgehend ausgeblendet und nicht bedient.

 

Digital Gap – das Phänomen Uber

Vor einigen Monaten war ich bei einem „Business Angel meets Start-ups“-Event in Wien.

Im Zuge der Veranstaltung wurde ich auf die Bühne gebeten und zu meinen Eindrücken zum Event und zur österreichischen Start Up Szene befragt. Meine spontane Antwort war: „Das Interessante an der neuen digitalen Welt ist, dass die Hälfte unserer Bevölkerung – sagen wir mal pauschal die Jungen – mit einem Uber-Taxi fährt, und die andere Hälfte – pauschal Menschen über 60 – keine Ahnung hat, was ein Uber ist“ … Ein erstaunter Blick meines Interviewers, übrigens dem Geschäftsführer einer Start-up-Bank … „Was meinen Sie damit genau?“ war seine anschließende Frage … „Na, dass man einerseits die Hälfte der Bevölkerung – Menschen über 60 oder 4 Millionen Österreicherinnen und Österreicher – als Markt einfach übersieht. Und man ignoriert, dass diese Hälfte sehr bald auf der Strecke bleibt und nicht mehr mitkommt“ … Zunächst sah ich eine Menge nachdenklicher Gesichter und dieser Input wurde noch lange diskutiert.

 

Raus aus der Comfort Zone

Ich komme ja aus dem elektronischem Medienbereich, in dem ich seit gut zehn Jahren auch die totale Verjüngung erlebe. In meinem letzten Job war ich mit 50 Jahren der ca. fünftälteste von 1.000 Mitarbeitern beim Konzern. Und kaum ein Programm im analogen Fernsehen richtet sich explizit an die ältere Bevölkerung. Obwohl man weiß, dass der überwiegende Großteil der TV-Zuschauer über 60 ist, orientiert sich Programm und Layout der Sendungen doch an einer Zielgruppe unter 40. Langsam gibt es Strömungen aus Deutschland, die sich auf die Realität besinnen, und die das Dogma, dass alles „jung, dynamisch und frisch“ sein muss, zumindest hinterfragen.

Natürlich ist die ältere Zielgruppe schwieriger zu bedienen, weil die digitale Kompetenz oft kaum bis gar nicht vorhanden ist. Man muss hier ganz anders ansetzen, mit Risikobereitschaft und Querdenken neue Zugänge schaffen. Im Prinzip ist es wie bei einem Start-up: Es kostet Ressourcen – allen voran Innovation und Kreativität. Zu entscheiden, die Generation 60plus komplett außen vor zu lassen, ist meiner Meinung nach ein großer Fehler. Ich halte es als erfahrener Medienprofi für eine Überlebensfrage, wenn Programmdirektoren endlich die wahre Zusammensetzung unserer Bevölkerung sehen und den Markt auch entsprechend bedienen.

 

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